150 Jahre Familientradition

Führt „Lipp’s Bäcker“ in vierter Generation: Karl-Heinz Lipp. Als Bäcker blickt er auf 55 Berufsjahre zurück und hat in den vergangenen Jahrzehnten weit über 100 Lehrlinge ausgebildet. Wie alle Handwerksbetriebe ringt er vergeblich um Nachwuchskräfte. Bild: Philipp Reimer

„Ich brauche den Trubel und die Leute um mich herum“, Inhaber Karl-Heinz Lipp blickt auf 55 Berufsjahre zurück

Hohe Nachfrage – fehlender Nachwuchs (wnoz.de)

Von Anna Raiber

Wald-Michelbach. Viele klassische Bäckereibetriebe sehen sich mit einem Problem konfrontiert: Zwar geht ihr Umsatz nach oben, da die Kunden wieder mehr Wert auf Qualität legen – aber Nachwuchskräfte in der Backstube und im Verkauf sind kaum oder gar nicht mehr zu finden. Dieses Dilemma kennt Karl-Heinz Lipp, Inhaber von Lipp’s Bäcker mit Sitz in Wald-Michelbach, nur zu gut. Der Familienbetrieb feiert 2022 sein 150-jähriges Bestehen – aber die Zukunft der Bäckerei steht aufgrund des fehlenden Nachwuchses in den Sternen.

Auf 55 Arbeitsjahre blickt Karl-Heinz Lipp zurück – und wenn sich für den 69-Jährigen kein Nachfolger findet, würde dies das Ende eines weiteren traditionsreichen Betriebs in der Region bedeuten. „So lange mich meine Mitarbeiter und Kunden nicht ärgern, mache ich weiter“, sagt der passionierte Bäcker mit einem Lachen. Zwar steht er heute nicht mehr selbst in der Backstube, um traditionelles Sauerteigbrot oder handwerkliche Kuchen aus Hefeteig herzustellen, aber er kümmert sich nach wie vor um den Einkauf und ist mit seiner lebensfrohen Art die gute Seele des Betriebs. „Ich brauche den Trubel und die Leute um mich herum“, sagt Lipp. Und so mischt er sich direkt nach dem Redaktionsgespräch wieder unter die Gäste im Café, wo er ein gern gesehener Gesprächspartner ist, beispielsweise beim täglichen Rentner-Stammtisch.

Drei Standorte, 30 Mitarbeiter

Drei Standorte mit 30 Mitarbeitern hat der Betrieb im Überwald heute noch: Die Stammfiliale mit Backstube im Wetzkeil 14 sowie die City-Filiale mit Café in der Poststraße 7 in Wald-Michelbach. Eine weitere Filiale gibt es im Netto-Lebensmittelmarkt in Ober-Abtsteinach. Noch bis vor vier Jahren hatte der Betrieb sieben Filialen, berichtet Lipp. Doch weil sich kein Personal mehr fand und Mitarbeiter in den Ruhestand gingen, war an einen Weiterbetrieb nicht mehr zu denken.

„Uns gehen die Handwerker verloren“, sagt Lipp und meint damit, dass Eltern heutzutage viel größeren Wert darauf legen, Kinder zum Abitur und nachfolgendem Studium zu bewegen. Auch in der eigenen Familie ist das der Fall, die beiden Kinder haben andere Berufe erlernt und werden den Betrieb nicht weiterführen. Um an den begehrten Nachwuchs heranzukommen, hat der Bäcker alles versucht. Er berichtet beispielsweise vom Kontakt zu den Schulen, um Lehrlinge zu finden – leider ohne Erfolg. Sechs Stellen für Lehrlinge für den Verkauf und die Backstube seien aktuell unbesetzt. Seit Lipp den Betrieb in den 1970er-Jahren übernommen hat, wurden 120 Fachkräfte ausgebildet.

Die Flinte will der Bäcker aber noch nicht ins Korn werfen. „Das hier ist mein Leben. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass doch noch ein Nachfolger kommt“, sagt Lipp. Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des Betriebs hat der Geschäftsmann schon lange gestellt. So hat er regelmäßig in den Betrieb investiert, Lipp’s Bäcker verfügt über eine hochmoderne Backstube, die sich auf der Höhe der Zeit befindet. Auch die vielen Stammkunden halten dem Betrieb zum Teil seit Jahrzehnten die Treue – auch die jungen Leute kämen wieder. „Das Bewusstsein, was in Lebensmitteln enthalten ist, steigt wieder“, sagt Lipp.

In den vergangenen Jahrzehnten hat Lipp’s Bäcker quasi nur Aufschwung erlebt. Karl-Heinz Lipp erinnert sich an Zeiten, in denen sich in der Sektion, die sich von Hirschhorn bis Weinheim erstreckt, 30 traditionelle Bäckereibetriebe befanden – gerade mal drei sind es noch heute. „Man darf nicht pessimistisch sein, es geht immer weiter“, ist Lipp überzeugt. Seine Hoffnung beruht auch darauf, dass die Kunden wieder lernen, mit Lebensmitteln sorgsam umzugehen. Denn aktuell werden von den Käufern 30 Prozent der Backwaren weggeworfen.

Preise stark angestiegen

Die derzeit stark gestiegenen Preise für Rohstoffe wirken sich auf das Geschäft drastisch aus. „Die Backwaren müssten doppelt so teuer sein. Die Bäcker verdienen aktuell nichts“, sagt Lipp. Er führt aus, dass kein Geld mehr übrig bleibt, um Investitionen zu tätigen oder Rücklagen zu bilden, was das Bäckereisterben noch verstärken werde. Die Preise für Weizen und die Energiekosten hätten sich um 300 Prozent gesteigert, sagt Lipp. Hinzu kommt, dass der Weizen, der von den Landwirten in Deutschland angebaut wird, im Vergleich eiweißärmer ist. Um qualitativ hochwertiges Brot zu backen, müsse das Mehl mit Manitoba-Weizen gemischt werden, der beispielsweise in Kanada angebaut wird, macht Lipp die Abhängigkeit von den Weltmärkten deutlich.

Lipps-Kunden, die sich am Frühstückstisch Brot, Brötchen oder süße Teilchen schmecken lassen, freuen sich darüber, noch auf qualitativ hochwertige Backwaren zurückgreifen zu können. Die Hoffnung bleibt, dass der traditionsreiche Betrieb auch in Zukunft noch besteht.

Blick in die Historie

Im Jahr 1872 wird der Grundstein der Bäckerei Lipp in der Schwalbengasse in Wald-Michelbach gelegt. Adam Lipp baute einen Teil seines Schweinestalls in eine Backstube um.

Im Jahre 1911 verstarb der Gründer der Bäckerei. Sein Sohn Georg Lipp übernahm das Geschäft. Unter seiner Leitung erweiterte der Betrieb 1914 das Backsortiment. 1920 wurde der erste Dampfbackofen im Überwald eingebaut.

Georg Lipp leitete die Bäckerei bis zu seinem Tode 1946. Danach übernahm Hermann Lipp die Backstube, der 1950 ein Motorrad mit Seitenwagen kaufte, um in die verschiedenen Ortschaften zu gelangen. Drei Jahre später wird ein VW-Käfer dafür angeschafft.

Da ständig Umbau- und Erweiterungsarbeiten stattfanden, der Platz allerdings begrenzt war, entschloss sich Hermann Lipp 1967, mit der Backstube umzuziehen. Der Neubau im Wetzkeil 14 wurde 1972 eingeweiht – passend zum 100-jährigen Jubiläum.

1976 übergab Hermann Lipp die Bäckerei an seinen Sohn und den jetzigen Inhaber Karl-Heinz Lipp. Dieser führte immer neue Brot- und Brötchensorten ein.

Im Jahre 1994 wurde das „Café in der Gass“ eröffnet und weitere Filialen folgten im Laufe der Zeit. Zu Glanzzeiten gab es acht „Lipp´s Bäcker“- Filialen und über 50 Mitarbeiter.

In hochmodernen Backöfen werden die Backwaren noch nach den hauseigenen Rezepturen gebacken.